
Nicole Flattery, Show Them a Good Time. Acht Stories zwischen Job, Partnerschaft, Kindheit, Einsamkeit, Erwachsenwerden und Dating, zwischen flapsig und schmerzlich, zwischen sprühender Vitalität und Depression. Ich lese das jetzt zum zweiten Mal und stelle mir allerhand Fragen. Auch: Warum gab es dieses Buch 1997 noch nicht? Das ist eine ungültige Frage – Nicole Flattery ist Jahrgang 1990. Aber das macht es ja nicht weniger bitter!
Ich hätte diesen Tonfall gebraucht, so mit 15. Ich hätte mich schlagartig ermutigt gefühlt. Ehe jetzt Missverständnisse auftreten: Show Them a Good Time ist keine Erbauungsliteratur. Und es fällt auch ganz und gar nicht unter Coming of Age; in dieser Kurzgeschichtensammlung trifft man auf Mädchen und Frauen unterschiedlicher Altersgruppen, die sich ihrerseits nicht sonderlich mit Altersfragen beschäftigen. Nebenbei bemerkt fand ich es, als ich 15 war, unfassbar langweilig, Coming of Age zu lesen, ausgenommen den Fänger im Roggen, klar. Was ich mit 15 an diesem Buch hätte gebrauchen können, das ist sein unbedingter Mut, das banale, alltägliche Unbehagen zu erforschen. Den hatte ich nicht. Den hätte ich nötig gehabt.
Losgelöst von ihren vollkommen verschiedenen Settings und Figuren, befassen sich die Stories im Kern allesamt mit Misstönen, die unseren Alltag zieren wie Wespen den Apfelkuchen. Dabei halten sich die Stories nicht mit Gejammer auf – nirgendwo Genöle oder Befindlichkeitsduselei. Es sind Alltagsgeschichten, mal aus dem Alltag glanzloser Gestalten, mal aus dem Alltag etablierter Erfolgsfrauen (und in Anklängen möglicherweise Flatterys Biographie entlehnt: Die gebürtige Irin hat Film und Theater studiert, wie auch Natasha in Abortion, A Love Story, hat selbst Erfahrung im prekären Jobben, wie viele der Protagonistinnen, hatte mal als Assistentin einer Top-Literaturagentur in New York den großen Senkrechtstart vor Augen, nur um sich nach ein paar Monaten, senkrecht gefeuert und restlos pleite, zurück in die Heimat zu verkrümeln, was sie vielleicht mit dem geschundenen New Yorker Bürofräulein in Track oder dem Ex-Showbiz-Girl in Show Them a Good Time verbindet). Und gleichzeitig sind es Traumgeschichten, denn diese Alltage sind stets durchzogen von einer Spur Irrealität.
Die Titel- und Eröffnungsgeschichte, Show Them a Good Time, konfrontiert Sie direkt mit dieser speziellen Art der Realität, die bei Flattery herrscht, und wenn Sie sich in dieser merkwürdigen Garage, dem Schauplatz der Geschichte, nicht zuhause fühlen können, brauchen Sie das Buch eigentlich auch gar nicht weiterzulesen. Diese Garage ist so etwas wie ein Tankstellenshop oder Minisupermarkt, ein kläglicher Raum jedenfalls, wo zwei Menschen im Rahmen eines diffus bleibenden Projekts arbeiten, das an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen erinnert – eine gescheiterte Schauspielerin, die hier als Ich-Erzählerin auftritt, und ein 19jähriger ohne Potenzial. Mag sein, dass das mit der Schauspielerei eine reichlich geschönte Geschichte ist, aber egal, die Erzählerin hat jedenfalls eine wilde Zeit in der großen Stadt hinter sich gebracht und ist, nachdem irgendwann die Träume und das Geld versiegt waren, zurückgekommen in die Heimat, in die Kleinstadt, zu den Eltern.
‚My parents had a fierce bond I admired. They had refined the habits of the long-married – saying nothing an then saying everything twice. […] There was a strange, daily pattern: amble down the street; go to the supermarket; wave at a slight acquaintance; glance at the same patch of sky; come back home. They had seen boredom, stared it straight down, and survived.‘
In den Regalen der Garage befindet sich nichts als drei Dosen ungewissen Inhalts und eine Zimmerpflanze.
‚ „Stop cuddling the plant,“ Kevin often suggested. „I’m just holding it,“ I lied.‘
Ein arbeitsloser Kühlschrank summt vor sich hin, die seltenen Kunden, die etwas kaufen möchten, werden freundlich begrüßt, nur um dann entschuldigend weggeschickt zu werden. Reine Kulisse. Die gewünschte soziale und berufliche Eingliederung: reines Theaterspiel. Die Erzählerin, schauspiel- und enttäuschungserfahren, durchschaut das natürlich instinktiv. Kollege Kevin dagegen legt sich leidenschaftlich für Kundenzufriedenheit und Umsatzsteigerung ins Zeug, aus echter Überzeugung. Privat widmet sich Kevin übrigens mit demselben Furor dem Fernsehen, den Filmen, Soaps, Sitcoms… Naive Jugend. Während das ominöse Job-Projekt ohne Aussicht auf gutes Ende vor sich hin läuft, plaudert die Erzählerin über ihr Leben in der Großstadt als Freundin eines mittelmäßigen Regisseurs, was sich bedenklich nach einem Leben als wandelnde Anzieh- und Gummipuppe anhört. Oder über die Projektmanagerin, sozusagen die Chefin der Garage, eine Figur irgendwo zwischen Personalwesen und Inquisition, wie sich bereits im Bewerbungsgespräch fürs Garagenprojekt zeigt:
‚Management interviewed me – bizarre questions through an inch of plexiglass: How long, in hours, have you been unemployed? Did you misspend your youth throwing stones at passing cars? […] The interview was an all-nighter, designed to break my spirit and ensure I pledged organisation and responsibility for the rest of my days.‘
Oder über ihre alten Freundinnen in der Kleinstadt:
‚My friends, what remained of them, were sweet girls – transparent, tame – but likeable. I assembled us together in a bar for one sorry night. Since we grew up with mothers who sat, dour, over their annual wine, we all drank like our fathers. It was our great generational decision.‘
Alles in dieser Story scheint banal, alles an dieser Story scheint vorhersehbar. Nichts da. Ich verbringe sehr viel mehr Zeit damit, mir den Kopf darüber zu zerbrechen als erwartet. Ich plumpse in Abgründe – fast unbemerkt, weil sie mit so unterhaltsamer Zuckerwatte gepolstert sind. Es geht um dumme Sehnsüchte, die nichtsdestotrotz herzzerfressend in uns kochen. Um den seelisch schmerzhaften Abgleich der Realität mit Idealbildern. Um körperlich schmerzhafte Langeweile. Den unbeholfenen Umgang mit Enttäuschungen. Um Figuren, die ihre Scham – so ein generalisiertes Schamgefühl, das emotionale Hintergrundsummen der Ewig-Mittelmäßigen – mit mir teilen.
Flatterys übrigen Figuren ergeht es anders, aber nicht rosiger. So bemüht sich etwa die tapfer lächelnde Hauptfigur in Parrot – frisch verheiratet, gut situiert, gerade auf Auslandsjahr in Paris – um ein harmonisches Auskommen mit dem Kind ihres Mannes aus erster Ehe und kriegt es doch nicht zustande. Genauso schief und kläglich verbiegt sich die Erzählerin in Hump. Ausgehend von der Beerdigung ihres Vaters, breitet sie das schmale Panorama ihres Alltags aus – Büro, Restaurant, Zuhause, Büro, Restaurant, Büro, Zuhause, Zuhause, Büro.
‚My career had taken a sinister turn and I had started to keep an eye out, like you do for a new lover, for other things I could try. There weren’t many. All jobs seemed to contain one small thing I just could not do. It was maddening.‘ (Dieses hirnzerfressende Auf-der-Stelle-rudern, oh, ich kenne das.)
Beziehungen oder Liebschaften bringen auch kein Licht ins Dunkel, nein. In dieser wie in allen übrigen Geschichten sparken die männlichen Figuren leider nie wirklichen Joy:
‚He looked like a small town I might live in and die.‘
Eine Beerdigung markiert einen Abschied, oft auch Abschied von einem vertrauten Gefüge, einer gewohnten Ordnung. Was sich im Leben der Erzählerin nun verändert, ist erst einmal sie selbst: Sie verformt sich, verkrümmt sich; ihr wächst unerklärlicherweise ein Buckel, was aber niemand zu registrieren scheint. (Dieses Gefühl von Deformation im Stillen, in Umbruchsphasen, die keinen im Umfeld interessieren oder beeindrucken, oh, ich kenne das.)
Alle acht Stories funktionieren auf dieselbe Art: Sie drücken zielsicher auf Schmerzpunkte und sind zugleich ungemein witzig. Rohes Fleisch, paniert mit Humor.
Anders als es mir die 90er, die Blüte des Ironie-Zeitalters, von Jugend an eingetrichtert hatten, ist der staubtrockene Witz hier nicht dazu da, um Emotionen zu entwerten, einfach jegliche Gefühlsregungen bloßzustellen und sich arschcool von ihnen zu distanzieren – sondern, im Gegenteil, um jede Gefühlsregung bloßzulegen, auf dass ihr Wert nicht länger unter den Ironie-Teppich gekehrt werde.
Witz kann dabei helfen, wichtige Dinge auszusprechen, die ansonsten im Halse steckenbleiben würden. Den Witz hingegen zu nutzen, um die Dinge lächerlich zu machen, pauschal und unterschiedslos, und sich somit ihre Wichtigkeit vom Hals zu halten, war und ist ein typischer Reflex meiner Loveparade-Generation. Wenn ich alles gleichermaßen auslachen kann, dann besitzt nichts mehr Bedeutung, und wenn es keinerlei Bedeutung mehr gibt, kann ich endlich ungestört das einzige pflegen, was überhaupt noch existiert: meinen Spaß. Meine Unterhaltungselektronik, meine Turnschuhe, Beauty und Wellness, Essen und Trinken, Stars und Sternchen, mein Haus, mein Auto, meine Frau; Sie wissen schon. Nach den 68ern, den Hippies, Theoretikern und Ideologen, dem Deutschen Herbst, der Neuen Subjektivität, den friedens- und umweltbewegten 80ern und schließlich dem Umbruch der allgemeinen Weltordnung war der spaßige Nihilismus der 90er wohl ganz einfach die logische Gegenbewegung. Ein großes Ausatmen nach so viel Kampf und Krampf. Ein Rückfall in infantilen Hedonismus nach so viel Selbstermächtigung, Mündigwerdung, politischer und gesellschaftlicher Teilhabe. Sisyphos, der den Stein einfach kullern lässt – keinen Bock mehr.
Ironischerweise war Spaß während meiner Gymnasialzeit, in der sich vordergründig alles ständig ums Spaßhaben drehte, echte Mangelware. Unter uns SchülerInnen herrschte ein trockener, ironischer bis sarkastischer Ton, der alles planierte, was echt an uns war. Lachen war verpönt, aber auslachen ging immer. Mitunter frage ich mich, ob ich den 90ern da eventuell unrecht tue: So lieblos, gehässig, gekünstelt kommt mir das rückblickend vielleicht vor, aber sicher gehe ich da bloß einer Art umgekehrter Nostalgie auf den Leim, anstatt zu einer positiven Verklärung der Vergangenheit neige ich einfach zu einer negativen, nicht wahr? Generell sind Jugendliche untereinander ja nicht unbedingt gnädig, egal in welchem Jahrzehnt, und auch mein Zuhause, das Hannoveraner Umland, war halt nie berühmt als Hort von Frohsinn und Herzlichkeit. Doch ab und an stolpere ich über, sagen wir, eine alte Folge TV-Total oder Filme wie Pulp Fiction, Mission Impossible 1 oder Matrix, über Zeitdokumente also, und ich empfinde jedes Mal, während ich mir das so anschaue, diese zwanghafte, manierierte Coolness, diese Steifheit, Plastikhaftigkeit, Schablonenhaftigkeit, Oberflächlichkeit, Überreiztheit, Pseudolustigkeit tatsächlich als Kerneigenschaften der 90er.
Entsprechend verkniffen gestaltete sich der allgemeine Habitus meiner Jahrgangsstufe, der Dress-Code wurde penibel kuratiert, Worte landeten grundsätzlich auf der Goldwaage, Empathie war was für Muttis, alles, was irgendwie lebendig war, war automatisch albern, lächerlich, peinlich. Moral: Steh lässig rum, Mädchen, zeige niemandem, was du gern hast oder fürchtest, spuck auf die Uncoolen, sei selbst keine von den Uncoolen, sei smart und schön, sei um jeden Preis unter den Smarten und Schönen, sie spucken sonst auf dich.
Wenn es für smart und schön aber nicht reichte, war ja immerhin noch intellektuell eine halbwegs rettende Option. Für diejenigen, die damals wie ich nachts MTV schauten: Ich war Daria Morgendorffer. Und Jane Lane. Ich malte, ich zeichnete, ich las, ich notierte, ich weltschmerzte mich durchs Gymnasium. Ich pilgerte in Kunstmuseen, ich las mich systematisch durch die Literaturnobelpreisliste, konnte aus der Orestie zitieren, schrieb meine Englisch-Facharbeit über Ulysses, und ich dachte, ich täte diesen ganzen Quatsch, weil es mir Spaß machte. Natürlich tat ich das, weil es mir eben lag und damit einen praktikablen Weg darstellte, um nicht blöd auszusehen, bloß nicht der Bauerntrampel zu sein, mich bloß auf einer Höhe halten zu können, von wo aus es sich gut auf Blödere spucken ließe. Und schließlich war es eine bildungsbürgerlich anerkannte, eine schulischerseits sogar begrüßte Realitätsflucht – ab in den Elfenbeinturm!
Ich hatte damit meine Rolle an der Schule gefunden und war in dieser Rolle ziemlich unangreifbar. Ich machte mich prima als klugscheißendes Unikum, das den Deutsch-LK im Alleingang gestaltete UND alle Jungs unter den Tisch trank. Zu Hause, in meinem Kämmerlein, schrieb ich Texte, die im Ton mal Hermann Hesse, mal Quentin Tarantino nachahmten.
Was ich eigentlich hätte schreiben müssen, das wären Texte über meine Mutter gewesen, Texte über das schale Gefühl, wenn man Menschen anlog, die man liebte, Texte über die Scham, wenn man wieder einmal Spucke abgekriegt hatte (wörtlich gemeint), Texte über die seltsame Angst, dass irgendwie gar nichts wirklich zählte, und über den Schock, wenn es dann wirklich einmal um etwas ging, was zählte, Texte über Kittelschürzen und Kaninchenbraten, über ABBA und Queen, über Katheter und Dekubitus, Texte über Freunde, die nichts taugten, und über die Erkenntnis, selber auch nicht besser zu sein, Texte über UNS und MICH.
Rainer Dorner, Dozent an meiner Berufsschule, sagte über die formal strengen und inhaltlich irgendwie toten, diese sterilen Gedichte Stefan Georges immer sehr schön: „Gefrorene Scheiße stinkt nicht.“ Wenn ich später in eine hübsch-ästhetische, hochtrabende Doku über Hermann Hesse oder in einen Tarantino-Film hinein zappte, oder wenn ich DJ Bobo im Radio mal wieder „There Is a Party“ singen hörte, oder wenn ich Party-Fotos aus meiner Oberstufenzeit in die Finger bekam, oder wenn ich schon wieder einen Stapel Christian Kracht für den nächsten Deutsch-LK ans Lager bestellte, dachte ich mir öfters: „Gefrorene Scheiße stinkt nicht.“ Meine 90er, diese zügellosen Spaß-Jahre, das waren für mich die gefrorenen Jahre (Sie dürfen bitte Kafkas Axt an dieser Stelle einmal im Schrank lassen).
Zeig ihnen, wie man Spaß hat lautet der deutschsprachige Titel von Flatterys Erzählband. Ein Imperativ, der wie die Faust aufs Auge auf meine Schulzeit in der Epoche von Marusha, Scooter und den Spice Girls passen würde. Ach, die Girlies und Boygroups, die Models und Formel-1-Fahrer! Die Fertiggerichte voller Lebensmittelfarbe, das ewige Dosen-Gelächter in den ewigen Sitcoms, die neonfarbenen Markenklamotten! Fernseh-Talk und Mini Playback Show! Was waren das bloß für Good Times! Hilfe!
Wozu Flatterys Texte eigentlich ermutigen, ist freilich das Gegenteil: Zeig ihnen, wo’s weh tut! Kafka in Ehren – aber ich hätte mit 15 eine Menge darum gegeben, so ein Buch wie das hier in die Finger zu kriegen. Von einer Autorin, die haarsträubend klug UND witzig ist. Stories aus einem weiblichen Kosmos, besiedelt von Mädchen, Frauen, besetzt von Mädchenthemen, Frauenthemen, erzählt aus Mädchen-, Frauenperspektive. Geschichten über das Nicht-gut-genug-sein, die Orientierungslosigkeit, das So-tun-als-ob, das Schlappmachen, übers Sich-ausnutzen-lassen, Sich-blöd-anstellen, Sich-unwohl-fühlen.
Der Humor und die surreale Ebene helfen der Autorin indessen aus einer Klemme, in der man unweigerlich landet, sobald man vorhat, dieses Unspektakuläre zu erzählen: Das seichte, aber zähe Alltagsunglück ist ja nicht wegzudenken aus der durchschnittlichen Lebensrealität – darüber aber realitätsgetreu zu schreiben, OHNE die Leserschaft dabei ins Koma zu langweilen (und wahrscheinlich auch sich selbst, als AutorIn), ist ein eigentlich hoffnungsloses Unterfangen.
Erst durch die humorige und surreale Überzeichnung wird das Unbehagliche, bedrückend Oberflächliche, bedrängend Langweilige erzählbar. Was David Foster Wallace mit Unendlicher Spaß und Der Bleiche König vorgemacht hat – Flattery holt es aus dem Literatur-Schaukasten heraus und wendet es auf das peinlich Private an.
In Sweet Talk schildert eine irische Farmerstochter das Jahr, in dem sie 14 wird. Unter den Farmhelfern dieser Saison ist ein eigentlich nicht besonders interessanter Australier, dem sie ein bisschen auf die Pelle rückt, die Zeitungen berichten von spurlos verschwundenen Mädchen, die Nonnen in der Provinzschule bemängeln nachlassende Leistungen, der Exorzist und Freddy Krueger spuken durchs nächtliche Fernsehprogramm. Himmel und Hölle, Realität und Fernsehen, brave Kindheit und Sexualität, Langeweile und Horror – Flattery verschränkt auf wenigen Seiten einen ganzen Haufen Gegenpole ineinander, und was dabei herauskommt, ist so eine Brühe, zugleich kalt und zu heiß, lasch und zu scharf, intensiv und ungenießbar, also genauso wie 14 sein.
Hätte ich das als Achtklässlerin gelesen, hätte ich mich kaputtgeschämt und kaputtgelacht. Und ich hätte von da an genauso schreiben wollen. Vielleicht hätte mir das geholfen.
Ganz sicher hätte es, verdammt.
Sehr mitgenommen hätte – und hat – mich auch Abortion, A Love Story, wo die engstirnige, passiv veranlagte College-Studentin Natasha auf ihre Spiegelfigur trifft, die abenteuerliche Lucy. Natasha packt das College nicht, fühlt sich fehl am Platz, zieht das aussichtslose Ding aber stur durch. Gerade hat sie eine erste vergurkte Beziehung hinter sich:
‚When Natasha first entered college, at eighteen, a boy called Patrick, stick-thin, raised Catholic, had attached himself to her. He was her first boyfriend. They were a good pairing because she was a strange person pretending to be a normal person, and he was a normal, well-raised person desperately pretending to be strange.‘
Danach schlittert sie in eine Verlegenheits-Liaison mit einem ihrer Professoren – auch nicht besser. Unterdessen erhält sie geradezu gespenstische Mails von jemandem, der sie offenbar kennt, gut kennt, dabei gibt es wirklich niemanden, der das täte, weder an der Uni noch sonstwo. Und dann tritt Lucy auf. Die hat gespenstisch viel mit Natasha gemeinsam und ist doch eine völlig andere Figur, eine, die bei Natasha im ersten Moment entschiedene Ablehnung hervorruft. Die Ablehnung entpuppt sich als Neid, der Neid outet sich als Bewunderung.
In den meisten ähnlichen Geschichten entwickelt sich das ganze dann wie folgt: Das wilde Mädchen nimmt die gehemmte Loserin an der Hand, verhilft ihr zu Abenteuern und lässt sie aufblühen, doch in einem Moment, wo es drauf ankommt, kehrt die Wilde sich achselzuckend ab und überlässt die Loserin ihrem Schicksal, wodurch diese sich erst ihrer eigenen, echten Werte bewusst wird. Moral: Erliege nie den falschen Verführungen eines allzu unabhängigen, selbstbestimmten Lebensstils, Mädchen!
Hier aber verlaufen die Dinge anders: Natasha und Lucy sind schon bald eng verschwistert, wie eine Einheit, die lange zerrissen war und nun endlich wieder zusammengefügt worden ist (Sie ahnen sicher, was hier gespielt wird). Als Duo überarbeiten und inszenieren sie schließlich ein Theaterstück von Natasha, das an Aussagewut wahrscheinlich alles in den Schatten stellt, was das verbiederte College je erlebt hat.
‚ „Lucy,“ Natasha said, holding up a page covered in red marks, „let’s make this a comedy.“ „Abortion, A Love Story?“ Natasha nodded. „But it’s about these two girls, sisters in misery.“ „I know.“ „They don’t have anything.“ „Of course.“ „It’s a bad time.“ „It’s a woeful time.“ „And it gets worse.“ […] Lucy took a sip of her drink. „Who could find all that funny?“ „Not me.“ „And the pain and suffering of the women,“ Lucy said, shaking her head. „The violence of what they have endured. That’s what the audience will want.“ „Yeah,“ Natasha said, „and let’s not give it to them.“ Lucy was silent. „Comedy is tragedy sped up.“ Lucy tapped two fingers on her can. „That’s Ionesco.“ „I thought it was my dad,“ Natasha said. „You know we’re risking our reputations.“ „We don’t have reputations to risk.“ ‚
Daria und Jane waren witzig, zeitgeistig – Natasha und Lucy aber machen Ernst: Friss Zuckerwatte, Publikum! Ein ernsthafter, abgründiger Spaß. Abortion, A Love Story ist die umfangreichste Geschichte in diesem Band, und es ist die einzige, in der sich eine Figur ein Stück weit aus ihrem kläglichen, unbehaglichen Alltag lösen kann. Moral: Suche Freundschaft, Mädchen, sogar mit dir selbst, VOR ALLEM mit dir selbst – und dann ran an die quälenden Dinge!
Foto: Grebe
>Nicole Flattery, Show Them a Good Time (Bloomsbury Circus)