In meiner Gymnasialzeit gab’s eine Schülerzeitung. An der ich mich nicht beteiligte – das Schreiben hätte mich wohl angezogen, nur die Schreibenden waren nicht so mein Fall. Oder, na, ich nicht so ihrer. Nicht schlimm, ich brauchte, um zu schreiben, ja keine Schülerzeitung, sondern bloß mein Notizbuch. Meine Notizbücher. Notizhefte. Notizzettel. Ich schrieb auf alles Notizen, ich schrieb über alles Notizen, ich schleppte meine Notizen mit mir herum, überall hin, ich aß inmitten von Notizen, träumte auf Stapeln von Notizen, den Kuli fest in der schlafenden Hand, verpasste Busse und Züge wegen dringlicher Notizen, ich dachte und machte keine zusammenhängenden zehn Minuten mal was für Schule und Zukunft, aber immer Notizen, Notizen, Notizen.
Hätte ich damals unsere Schülerzeitung gestaltet, wäre das die aufregendste Schülerzeitung aller Schülerzeitungen geworden! Oder, na, ein wirrer, nutzloser Haufen Zettel.
Anderer Schauplatz: Ich wurde letztens awarded. Ich meine, mein Blog. Oftmals teilt man diese Erwählung mit einer ganzen Liste von Blogs, und dazu ist solch einem Award meist ein Fragebogen beigelegt, so auch hier; Sie kennen das sicher.
Frage-und-Antwort-Runden, Top-Listen – das waren auch die beliebtesten Rubriken in besagter Schülerzeitung.
Dass ich mich an dieser Blog-Award-Sache nie allzu überschwänglich beteiligen mochte, geht so gesehen womöglich auf meine Erfahrungen mit der Schülerzeitung zurück, welche mir dauerhaft einimpften, dass alles gut ist, solange man da bloß nirgendwo auftaucht. Bloß nicht interviewt werden. Bloß nicht auf einer dieser Listen landen, erst recht nicht auf den Spitzenplätzen! Ich meine da weniger die Listen der erfolgreichsten SchulsportlerInnen, bestaussehenden Mädchen, lustigsten Vögel etc., klar führte ich die nie an. Ich meine Listen wie „Wem würdet Ihr ungern im Dunkeln begegnen wollen?“, da war ich mal Platz zwei. Aber selbst die Jubel-Listen hatten ihre Kehrseite, verfestigten falsche Wahrnehmungen, setzten ihre Nadelstiche, machten die Bejubelten unruhig. So oder so wurden wir alle, indem sich unsere Zeitung uns einverleibte, in ein nicht eben freundschaftlich gesinntes Rampenlicht gestellt.
Dieser Hauch eines reell freundschaftlichen Interesses, den ich da vermisste, ist in der Blogosphäre freilich genauso rar gesät.
Mich hatte nun Maren auf die Liste derjenigen gesetzt, an die sie ihren Awesome Blogger Award weiterreichen möchte, und dass mich diese Geste nicht aufgeschreckt, sondern mit dem Gefühl erreicht hat, einfach ein schöner Gruß zu sein, liegt daran, dass ich meinerseits so gern Marens Berichte von Fernreisen oder von Streifzügen durchs nicht ganz so Ferne lese. Ich mag solche Texte, die sich selbst verpflichtet und sich selbst genug sind. Texte, die allzu gern Sensationen produzieren wollen, gibt es eh viel zu viele, anderswo, überall.
Statt Vernetzung bewirkte diese Aktion vielmehr so etwas wie eine gedankliche Zurückversetzung bei mir, ein ganzes Stück zurück, ja ja, noch ein bisschen, so, ganz nach damals. Denn dahin führten auch die Fragen, die Antworten.
1. Was bedeutet Dir das Bloggen? – Das hier ist meine Schülerzeitung, so wie ich sie damals aufgebaut hätte, wäre ich alleinige Herausgeberin gewesen. Ich mache hier nichts anderes, als dieser 14jährigen Notizkritzlerin ihren editorischen Lauf zu lassen, heute. Nach dem Abi landete ich zunächst in der Germanistik, Fernziel: rasende Reporterin, was natürlich Quatsch war, denn ich taugte ja weder zur Akademikerin noch zur Reporterin – was ich wollte, war bloß meine Notizen kritzeln zu können, zweckfrei, richtungslos, für mich und vielleicht noch für diese paar Seelen, die nachts auch nicht schlafen können. Über alles und nichts, über Dinge, Menschen, Gedanken, die mich beschäftigen. Na, hier mache ich genau das.
2. Wenn Dein bisheriges Leben ein Buch wäre, welchen Titel hätte es dann? -„Salzmarie“. Salz ist ein spezieller metaphorischer (und auch synästhetischer) Begriff für mich; vor allem stamme ich aus einem eingeschworenen Salzort und wohne heute zufällig wieder in einem.
3. An welchen Ort würdest Du gern noch einmal zurückkehren? – An den morgendlichen Küchentisch mit meinen Eltern und meinem jüngeren Bruder, mein Vater trinkt seinen Kaffee (zwei Milch, zwei Zucker) aus einer Tasse mit gesprenkelter Randverzierung und stellt sie blindwissend auf der Untertasse ab, während er in der Zeitung liest, meine Mutter schmiert Graubrote, ich lese, meinem Vater gegenüber sitzend, die Zeitung überkopf, mein Bruder neben mir duftet nach den Honigpops, die er gerade schmatzt, die Küchenuhr tackert leise, die Tischmitte schimmert im buttrigen Licht der Hängelampe. An diesem Ort war ich zuletzt als Jugendliche.
4. Wann hast Du zum letzten Mal etwas Neues über Dich erfahren? Was war das? – Ich erfahre ungelogen täglich irgendwas Neues über mich – Kleinigkeiten natürlich (denke ich, aber weiß man’s?), doch macht es das deswegen ja nicht gleich uninteressant. Was bringt mich in Wut, was fürchte ich, was tut mir weh, was macht mir Spaß usf., und warum? Ich habe heute über mich erfahren, dass ich eine sehr viel innigere Zuneigung zu Waschbetonplatten hege, als ich gedacht hätte. Und als ich zugeben würde – ich meine, welcher Baustoff könnte unattraktiver sein, rein objektiv betrachtet? Ich habe außerdem — ach, jetzt brauche ich wirklich mein Notizbuch!
5. Gibt es etwas, was Du immer tun wolltest, aber bisher nie getan hast? – Nein.
Ich nominiere an dieser Stelle keine weiteren Blogs, sondern grüße ganz direkt mein lesendes Gegenüber. Und frage nur eine Sache:
Erinnerst Du Dich bewusst an das Ablaufdatum Deiner Jugend, einen Moment, Tag, Auslöser, der Dein Erwachsenwerden markiert, ganz gleich, ob Du dabei eher siebzehn oder eher siebenundvierzig warst, an ein fühlbares Kippen der Verhältnisse, an einen Augenblick, da sich etwas in der Atmung veränderte oder das Rückgrat spürbar wurde, an ein helles Verstehen, eine plötzliche Last oder plötzliche Leichtigkeit – oder nicht?
Wenn einer nicht mehr jung ist, kanns erst losgehen mit dem Leben, weil in Zukunft hat er keine Zeit mehr, Dinge auf morgen zu verschieben, macht besser was anliegt auf der Stelle, weil das Leben jetzt ist.
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Das ist die vernünftigere Variante! Verbreitet ist auch diese hier: Wenn einer nicht mehr jung ist und das Gestern dementsprechend umfangreicher (und womöglich reizvoller) als das Morgen, ist das Morgen schnell vergessen und das unvergessene Gestern ganz schön gegenwärtig! Ich bin gespannt, was mein Jetzt sein wird, wenn ich alt bin…
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Liebe Sonja,
ich komme gar nicht dazu, hier zu kommentieren, so viele Assoziationen lösen deine Antworten aus.
Ich sehe Linchen, wie sie im Raum der „Schülermitverwaltung“ hinter dem Schulsekretariat in Endlosschleife Matrizen mit eigenen handgeschriebenen Geschichten durchnudelt. Eine Zeitlang produzierte L., die auch sonst recht eigene Ideen hatte, eine Art One-Girl-Schülerzeitung. Sehr lange dauerte diese Zeitlang nicht. Auffallen war okay, Abweichen auch, aber auch nicht zu sehr. Kennst du eigentlich die leider viel zu jung gestorbene US-amerikanische Schriftstellerin Flannery O‘Connor? Von ihr stammt der wunderbare Satz: „Jeder, der seine Kindheit überlebt hat, besitzt genügend Material, um für den Rest seines Lebens zu schreiben.“ – Ja, Bloggen ist schon eine tolle Spielwiese in diesem weiten Raum zwischen sehr privaten Notizen und Zeitungen aller Art. Das Notizbuch nimmst du, wenn ich dich richtig verstehe, ja weiter zur Hand, für das, was hinter der überraschenden Liebe zu Waschbeton noch so hochpoppt. 😉 Über das Zeitungsschreiben könntest du, wie ich finde, vielleicht doch noch mal nachdenken. Stimmen wie deine gibt es auch dort zu wenige. Wie auch immer: Ich freue mich, dass mein Award-Gruß genau so, wie er gemeint war, bei dir angekommen ist. Danke für deine Zeitreise!
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Liebe Maren, so‘n Linchen hätte ich damals gern als Verstärkung gehabt! Ich hab direkt Matritzendruckduft in der Nase – du liebe Zeit, wie umständlich das doch alles war, früher, und wie viel Physis das alles an und in sich hatte, wenn man etwas vervielfältigte und verbreitete. (Schön übrigens, dass Du meine Seite 2 gefunden hast! Hier wird ja mit roten Fäden gestrickt- da drüben sollen die losen Fäden munter flattern.)
Danke für die lieben Grüße, und mach Dir ein schönes Wochenende!
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Auf der zweiten Seite werde ich sicher noch mehr herumstromern. Gefällt mir, das muntere Flattern.
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