Joachim Ringelnatz, Flugzeuggedanken
Dort unten ist die Erde mein
Mit Bauten und Feldern des Fleißes.
Wenn ich einmal nicht mehr werde sein,
Dann graben sie mich dort unten hinein,
Ich weiß es.
Dort unten ist viel Mühe und Not
Und wenig wahre Liebe. –
Nun stelle ich mir sekundenlang
Vor, daß ich oben hier bliebe,
Ewig, und lebte und wäre doch tot – –
O, macht mich der Gedanke bang.
Mein Herz und mein Gewissen schlägt
Lauter als der Propeller.
Du Flugzeug, das so schnell mich trägt,
Flieg schneller!
In der Luft ist kein Bleiben; auf uns wartet immer ein Boden. Seliges Schweben über den Dingen – das schenkt die Luft dem Fliegenden nicht großzügig hin, die Leichtigkeit ist der Schwerkraft abgetrotzt mit bombastischem technisch-energetischen Aufwand. Dieser Aufwand hat nicht nur neue Verkehrswege, sondern darüber hinaus einen neuen Seinszustand, eine neue Perspektive erschlossen: Vom Boden abhebend, darf die Seele für ein Weilchen das irdische Leben hinter sich zurücklassen, und sie darf den Körper dabei mitnehmen, um von oben, aus entrückter Ferne, darauf hinabschauen zu können. Gefühl von Freiheit – während man doch eingeschlossen ist in eine hermetische Kapsel. Man fliegt nicht selbst, man wird getragen. Diese Passivität: nur ein transitorisches Wohlgefühl. Du kannst jetzt selbst laufen, sagt man zum Kind und nimmt es vom Arm, weil es schwer wird, und es läuft selbst. So wird es groß werden, und alt werden irgendwann. Immer wartender Boden.
Foto: O.Grebe 2015
Sehr schönes Foto Sonja, irgendwie entrückt und doch detailreich. Und Ringelnatz mag ich schon lang, hatte aber wenig Gelegenheit ihn zu lesen. Gefällt mir!
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Ringelnatz: Zeigt sich oft tiefschürfender als auf ersten Blick gedacht. Am Spannendsten find ich an ihm aber seine Lebensgeschichte – die hat’s in sich. Gruß, Sonja
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Ich musste an Wim Wenders „Himmel über Berlin“ denken. Immer nur schweben macht auch nicht froh – noch nicht mal Engel.
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Ich liebe das Fliegen und die Gedanken des Fliegens. Ein sehr schöner Text, der mehr Realismus enthält, als man glauben mag 🙂
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