Heinrich Schaefer, Schöpferische Dehnung aus dem Dunkel (aus: Die Aktion – Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst 4/1914)
Auf Punkt, auf kleinsten Punkt zusammen mich einknüllend, Kopf in die Brust gedrückt und die Beine rippenverstrickt, und mich rundend und auf innerlichsten Kern mich verhärtend harte Schale um harte Schale, ruhen punktdunkel dunkel dunkel – –
Trübe liegt kaltgläsern dunkelgrüne Wasserwand stechend rings auf meinem dunklen Auge rings – Ich dunkles Auge gänzlich – Ich gänzlich Mund – Ich gänzlich Brust – Ich gänzlich Bein –
Und die Formen aller Dinge, Tulpen, Stühle, Türen, Röhren, Bäume und die Schorne der Fabriken sind zwecklos langsam schwimmend in der steifen dunkelgrünen Wasserwand leblos gläserne Fische um mich her und sind Erinnerung mir und Hoffnung mir.
Der ich mich in mir vernichtet habe, alle Glieder, allen Leib und Eingeweide in mich zerbrochen und geballt – versteinter Ball mit allen zermahlenen Fleischsalzen, Knochenkörnern und Blutmehlen meiner selbst überall gleich gegenwärtig durchmischt – Mich weiten nach allen Seiten mit gleicher Kraft kugelrundhinaus strahlenstützend mich weiten – und Tafeln meiner sonnensilbernen Schalenrinde sind der Wald und die grüne Wiese mit den weißen Blumenschirmen und das Häusergeacker der Städte und das Wellenmeer und alles Ich die Welt —
Dieser sowie ein zweiter Text von Heinrich Schaefer finden sich in einem Buch, das ich regelmäßig wahllos aufschlage um meine Nase für ein Weilchen in seine fabrikverqualmte Luft zu stecken: eine ungemein von mir geliebte Anthologie zur Literarischen Moderne. Diese hakt bisweilen ein Standard-Repertoire pflichtschuldig ab, indem sie etwa Schnitzlers Leutnant Gustl oder van Hoddis´ Weltende nicht vermissen lässt, versammelt jedoch darüber hinaus auf über 830 Seiten reichliches, unverbrauchtes Material aus alter Zeit (1880er bis 1930er Jahre).
Entsprechend umfangreich zeigt sich das Quellenverzeichnis, wo gelegentlich, wie auch im Fall Heinrich Schaefers, der Verweis auf die Zeitschrift Die Aktion auftaucht, eine Wochenzeitschrift, die sich von 1911 an zum Sprachrohr des literarischen Expressionismus entwickelte und ebenso expressionistische Grafiken und linksgerichtete politische Beiträge veröffentlichte. Viele große Künstler- und Autorennamen waren jenerzeit in der Aktion vertreten – Heinrich Schaefer gehörte sicher zu den kleineren. Mehr als seine Beiträge zur Aktion konnte ich weder von ihm noch über ihn finden, nicht einmal Daten wie Geburtstag oder Geburtsort, keinen noch so groben Hinweis auf das Leben dieses Menschen. Und doch ist da dieser Text von ihm, der so unmittelbar ins Innere guckt.
Moritz Baßler (Hrsg.), Literarische Moderne – Das große Lesebuch (Fischer Klassik), kartoniert €14,50
Bild: Moon-lit (Grebe 2013)
Wird gekauft. Danke.
LikeGefällt 1 Person
Das freut mich! Dir kommt sicher mehr vom Inhalt bekannt vor als mir ;), trotzdem ist es ein wundervolles Schnüffel-Buch.
LikeLike
Freu mich schon wie ein Schnüffeltrein.
LikeLike
Hör‘ ich jemanden von einem „Schnüffel-Buch“ reden? Dann, ja, dann ist’s was für mich. Ebenfalls.
LikeGefällt 1 Person
Damit täte der Herr/Hund seinem Riecher wirklich etwas Gutes 🙂
LikeLike